Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes! Amen!
Liebe Brüder, liebe Schwester!
Wir haben uns auf den Weg gemacht, um auf den Spuren der Hl. Hildegard von Bingen und zumindest ansatzweise eine Ahnung von ihrem Wirken und Leben zu erhalten. „Hildegard, Äbtissin, Mystikerin, geboren im Jahr 1098, Gründerin der Klöster Rupertsberg und Eibingen, wies in ihrem Buch „Scivias“ den mystischen Weg des Aufstiegs der Seele durch Beschauung und Leiden.Sie wirkte als Bußpredigerin und Beraterin von geistlichen und weltlichen Großen. + 17. September 1179 auf dem Rupertsberg.“ Soweit die Kurzbeschreibung im Monastischen Stundenbuch der Benediktiner. Passenderweise sind wir kurz vor ihrem Gedenktag hier, der in der katholischen Kirche an ihrem Todestag (17. September) kommenden Donnerstag begangen wird.
Doch was bedeutet das eigentlich, eine Mystikerin zu sein, was bedeutet Mystik? Nun, dazu muss muss man wissen, dass der Ausdruck „Mystik“ vom griechischen „mystikos“ kommt, was soviel wie „geheimnisvoll“ bedeutet. Damit ist allgemein, übrigens auch außerhalb des Christentums, die Erfahrung einer göttlichen Realität bzw. die Bemühung um eine solche Erfahrung gemeint. Oder, stark vereinfacht ausgedrückt, in der Mystik wird Gott erlebbar und erfahrbar.
Nach eigenen Aussagen erlebte Hildegard ab ca. 1141 (sie lebte damals schon im Kloster Disibodenberg) unwiderstehlich starke Visionen. Da sie diese nicht zuordnen konnte, suchte sie Rat bei Bernhard von Clairvaux, Gründer des Zisterzienserordens. Dieser antwortete ihr „„Wir freuen uns mit dir über die Gnade Gottes, die in dir ist. Und was uns angeht, so ermahnen und beschwören wir dich, sie als Gnade zu erachten und ihr mit der ganzen Liebeskraft der Demut und Hingabe zu entsprechen. […] Was können wir übrigens noch lehren oder wozu ermahnen, wo schon eine innere Unterweisung besteht und eine Salbung über alles belehrt?“
Sie begann aufgrund einer Erscheinung, die sie als Auftrag Gottes verstand, ihre Visionen niederzuschreiben. In ihrem Hauptwerk „Scivias Domini“ (Wisse die Wege des Herrn), kurz „Scivias“ genannt, ließ sie, selbst des Lateinischen nicht mächtig, über einen Zeitraum von 6 Jahren ihre Visionen und theologischen Vorstellungen niederschreiben. In diesem Buch sind 35 Miniaturbilder enthalten, die zur Verdeutlichung ihrer Texte dienen. Leider gilt die Originalhandschrift seit dem 2. Weltkrieg als verschollen. Im Kloster, in dem wir vorhin waren befindet sich jedoch eine Kopie aus dem Jahr 1939.
Lassen wir aber Hildegard kurz selbst zu Wort kommen. In der Scivias äußert sie sich dazu folgendermaßen: „„Ich aber, obgleich ich diese Dinge hörte, weigerte mich lange Zeit, sie niederzuschreiben – aus Zweifel und Missglauben und wegen der Vielfalt menschlicher Worte, nicht aus Eigensinn, sondern weil ich der Demut folgte und das so lange, bis die Geißel Gottes mich fällte und ich ins Krankenbett fiel; dann, endlich bewegt durch vielerlei Krankheit […] gab ich meine Hand dem Schreiben anheim. Während ich's tat spürte ich […] den tiefen Sinn der Heiligen Schrift; und ich erhob mich so selbst von der Krankheit durch die Stärke, die ich empfing und brachte dies Werk zu seinem Ende – eben so – in zehn Jahren. […] Und ich sprach und schrieb diese Dinge nicht aus Erfindung meines Herzens oder irgend einer anderen Person, sondern durch die geheimen Mysterien Gottes, wie ich sie vernahm und empfing von den himmlischen Orten. Und wieder vernahm ich eine Stimme vom Himmel, und sie sprach zu mir: Erhebe deine Stimme und schreibe also!“
Natürlich ist mir klar, dass ich Hildegard nicht mit diesen kurzen Auszügen aus ihrem Leben gerecht werden kann. Doch wichtig ist mir in diesem Zusammenhang, dass es kein exklusives Privileg Hildegards war, Gott intensiv erfahren zu dürfen. Aus der Heiligen Schrift wissen wir, dass sich Gott von jedem finden lässt, der ihn mit aufrichtigem Herzen sucht.
Ich persönlich wünsche mir, Gott genauso intensiv erleben zu dürfen, ihn mit allen meinen Rezeptoren zu erfahren, wie es offenbar Hildegard vergönnt war. Lassen wir uns auf dieses Abenteuer unseres Lebens ein! Machen wir es wie Hildegard, die von Papst Benedikt XVI. zur Kirchenlehrerin und damit zum Vorbild für die gesamte heilige Kirche erhoben wurde! Unser heutiger Ausflug ist ein kleiner physischer Ansatz und vielleicht können wir ja ein Stück weit Hildegard und ihr göttliches Wirken erspüren. Doch hierbei darf es nicht bleiben, sondern muss sich durch unser weiteres Leben ziehen. Zum Abschluß eine Frage, die aber jeder für sich alleine beantworten muss: Sind wir, bin ich zu dieser Herausforderung bereit und können „JA“ zu Gott sagen?
Gott, du Quelle des Lebens, du hast die heilige Hildegard mit prophetischem Geist erfüllt. Hilf uns, nach ihrem Vorbild über deine Wege nachzusinnen und deiner Führung zu folgen, damit wir in der Dunkelheit dieser Welt das Licht deiner Klarheit erkennen. Darum bitten wir durch Jesus Christus, deinen Sohn, unseren Herrn und Gott, der in der Einheit des Heiligen Geistes mit dir lebt und herrscht in alle Ewigkeit.
Es segne und behüte uns der allmächtige und barmherzige Gott, der Vater und der Sohn und Heilige Geist. Amen.
Gelobt sei Jesus Christus! – In Ewigkeit, amen!
(c) Brother Colin MacTarbh MMXV - Es gilt das gesprochene Wort.